Meine 5 besten Tipps wenn Depressionen im Freundeskreis auftreten
Wie du helfen kannst - und warum gute Ratschläge nicht helfen
Dieser Blogpost richtet sich speziell an Zugehörige depressiv erkrankter Menschen: In diesem Blogpost erfährst du, wie du helfen kannst, wenn Depressionen in deinem Freundeskreis auftreten. Ich zeige dir aber auch, was du für dich selbst tun kannst, um dich nicht zu erschöpfen.
Darum geht es:
- Die Besonderheiten, wenn du Zugehörige*r und nicht Angehörige*r bist
- Warum Ratschläge oft auf taube Ohren stoßen und was du stattdessen tun kannst
- Du hast Angst, dein*e Freund*in könnte sich etwas antun
- Das ständige Zuhören erschöpft dich
- Wie du gut für dich selbst sorgen kannst und dennoch ein guter Freund/eine gute Freundin bleibst
Diesen Blogpost kannst du auch als Podcast hören, und zwar hier:
Die Besonderheiten, wenn du Zugehörige*r und nicht Angehörige*r bist
Im Vergleich zur Familie eines depressiv erkrankten Menschen, sind Zugehörige (wie ich Freunde und Freundinnen von Erkrankten nenne) einerseits weiter weg, andererseits manchmal auch näher dran an dem erkrankten Menschen.
Mit "weiter weg" meine ich, Freunde, Bekannte oder Kolleg*innen wohnen in der Regel nicht im selben Haushalt wie die erkrankte Person. Mit näher dran meine ich, dass besonders gute Freund*innen oft schon sehr lange im Leben eines Menschen sind. Oft länger als der Partner oder die Partnerin und damit auch ein ganz besonderes, vertrauensvolles Verhältnis zu diesem Menschen haben.
Die Beziehung zum besten Freund oder zur besten Freundin hat oft eine sehr besondere Qualität. Gespräche mit Beziehungspartner*innen sind einfach anders. Es werden andere Themen angesprochen, es herrscht eine andere Art der Intimität und Vertrautheit, und manchmal gibt es eine andere Art der Distanz.
Für Freundschaften bedeutet das - gar nicht so selten - der besten Freundin vertraut man manches an, was man dem eigenen Partner verschweigt. Das kann auch heißen, dass diese beste Freundin es noch vor dem Partner erfährt, wenn man seelische Probleme und Nöte hat.
Das Vertrauen kann zwischen die Stühle führen
Werden Freund*innen in Sachen seelischer Gesundheit stärker ins Vertrauen gezogen als die eigene Familie, können sie dadurch ganz schön in die Bredouille geraten. Wie sollst du damit umgehen, wenn beispielsweise der Partner dich als beste Freundin anspricht und fragt, "was denn bloß los ist" und du aber versprochen hast, "nichts zu sagen"? Ganz schön knifflig. Besonders, wenn du eigentlich zu beiden ein gutes Verhältnis hast...
Auf der anderen Seite kann es dir helfen, physisch nicht so nah an der erkrankten Person dran zu sein. Da kann es, besonders am Anfang, leichter machen, dem erkrankten Menschen zuzuhören, ohne dass du dich so in die Erkrankung hineinziehen lässt. Dein Alltag wird durch die Erkrankung einfach nicht so stark beeinflusst wie der Familienalltag eines psychisch erkrankten Menschen. Du kannst nach einem solchen Gespräch buchstäblich die Tür hinter dir zumachen und dich wieder deinem Alltag widmen. Sicher wird dich das, was dein*e Freund*in dir anvertraut hat, noch weiter beschäftigen, dennoch kann die räumliche Distanz helfen, dich ein wenig abzugrenzen.
Andererseits kann die räumliche Distanz deine Unruhe verstärken, weil du eben nicht den Alltag mit der erkrankten Person teilst und du vielleicht Angst hast, dass sie in eine schwere Krise rutschen könnte, die du nicht mitbekommst. Besonders wenn die Person alleine lebt, wird deine Sorge größer sein.
Vielleicht willst du, besonders zu Beginn, helfen und unterstützen, wo du nur kannst. Möglicherweise hast du sogar eine Menge Ideen, die du deiner erkrankten Freundin oder deinem erkrankten Freund mitgeben möchtest. Ob das hilft, liest du im nächsten Absatz.
Warum Ratschläge oft auf taube Ohren stoßen und was du stattdessen tun kannst
Du hast deiner depressiv erkrankten Freundin schon ganz oft zugehört (und irgendwie wiederholen sich die Erzählungen auch) und du hättest eigentlich jede Menge guter Ideen, von denen du überzeugt bist, dass sie helfen würden.
Und dennoch hast du die Erfahrung gemacht, dass deine Tipps und Hinweise einfach nicht angenommen, nicht umgesetzt werden. Das ist echt frustrierend. Denn mit der Zeit fühlst du dich vielleicht ausgenutzt und ausgelaugt.
Warum nur funktioniert das mit den "guten Ratschlägen" nicht?
Die Antwort ist eigentlich ganz einfach:
Kein Mensch mag "gute Ratschläge". Wir Menschen (und zwar ganz generell) reagieren auf "gute Ratschläge" oder "Empfehlungen", um die wir nicht gebeten haben, meistens reflexartig mit Abwehr. Wir empfinden Ratschläge als Eingriff in unsere Autonomie und Beschränkung unserer eigenen Entscheidungsfreiheit. Selbst wenn sie, also die Ratschläge, nicht nur gut gemeint, sondern tatsächlich gut sind. Das Phänomen ist so gut bekannt, dass die Psychologie dafür sogar einen eigenen Begriff hat: Reaktanz.
Mit unserer Abwehr, sprich mit unserer Reaktanz, versuchen wir, unsere Eigenständigkeit wiederherzustellen - selbst wenn diese de facto gar nicht bedroht ist. Manchmal sind wir eben komisch.
Du kennst das sicher auch: Was verboten ist, reizt besonders, es auszuprobieren (na, ertappt?). Was empfohlen wird, ruft Widerstand hervor. Beide Reaktionen sind mit Reaktanz zu erklären.
Wenn du also einem Menschen, der sich schon ganz oft bei dir ausgesprochen hat, berichtet hat, wie schlecht es ihm oder ihr geht, den guten (und gut gemeinten) Rat gibst, es doch einmal mit einer Therapie zu versuchen, kann es seine/ihre Reaktanz sein, die das eigentlich richtige Handeln verhindert. Zumindest kann das ein Teil der Erklärung sein.
Wenn jemand an einer Depression erkrankt ist, kann überdies sein Antrieb so geschwächt sein, dass schlicht keine Energie da ist, um eine Empfehlung umzusetzen.
Was kannst du stattdessen tun?
Wenn du versuchst, von einer ratgebenden Haltung in eine fragende Haltung zu kommen, kann das schon ein Game Changer sein.
Magst du es einmal ausprobieren? So könntest du Gespräche führen:
"Mir ist aufgefallen, dass du dich verändert hast"....schildere nun die Veränderung, die dir aufgefallen ist, etwa so (falls das so zutrifft): "du wirkst niedergeschlagen" oder "in letzter Zeit nimmst du gar nicht mehr an Unternehmungen/Gesprächen teil". Nun kannst du eine Frage stellen: "wie empfindest du das?". Du kannst auch deine Sorge ausdrücken, indem du es genauso ausdrückst "ich mache mir Sorgen" oder "das macht mir Sorgen".
Fahre dann fort mit Fragen: "Gibt es etwas, was ich tun kann?" oder "Was brauchst du gerade?" oder schlicht "kann ich dir irgendwie helfen?".
Vielleicht verneint dein*e Freund*in das, doch das mindert deine Sorgen nicht. Dann könntest du etwas fragen wie:
"Wie kann ich merken/sicher sein, dass wirklich alles ok ist?" oder: "Wie kann ich merken, wenn du doch Hilfe benötigst?". Vielleicht möchtest du an diesem Punkt auch vereinbaren, dass du dich in ein paar Tagen noch einmal meldest.
Du hast Angst, dein*e Freund*in könnte sich etwas antun
Wenn du befürchtest, dein*e Freund*in könnte sich etwas antun, sprich auch das an. Bleibe ruhig und besonnen, aber bagatellisiere das Thema nicht. Du könntest also sagen:
"Ich mache mir Sorgen, du könntest dir etwas antun. Ist diese Sorge berechtigt?" "Denkst du darüber nach, dir etwas anzutun?".
Hier musst du keine Angst haben, dass du jemanden mit solchen Fragen erst auf die Idee bringst, sich etwas anzutun. Es ist hinreichend erwiesen, dass das Thematisieren von Suizidalität keine Suizidalität fördert. Im Gegenteil. Es kann zu Erleichterung führen.
Wenn du zu diesem speziellen Thema mehr erfahren möchtest, höre dir in meinem Podcast das Interview mit Martina Nassenstein an. Hier findest du es:
Das ständige Zuhören erschöpft dich
Da du deinem Freund/deiner Freundin in dieser schwierigen und belastenden Phase beistehen möchtest, hast du gesagt: "Du kannst mich jederzeit anrufen, wenn du reden möchtest. Ich bin immer für dich da."
Das machen Freunde so - und das ist ein tolles Angebot. Wir alle kennen Frage "wen hast du in deinem Leben, den du auch nachts um 3 anrufen könntest, wenn du Probleme hast?". Und nun hast du dich selbst als dieser jemand zur Verfügung gestellt. Doch jetzt merkst du, dass sich das Bedürfnis des erkrankten Menschen, sich bei dir auszusprechen, nicht an deinem Lebensrhythmus orientiert. Es erschöpft dich, wenn du dich sehr häufig in der Rolle der/des Zuhörenden wiederfindest. Besonders, wenn da noch das Gefühl hinzukommt, außer Zuhören nichts machen zu können. Und selbst das beendet die Depression nicht. Wie sollte es auch? Du bist kein*e Therapeut*in und eine Depression ist eine behandlungsbedürftige Erkrankung.
Du möchtest zwar weiterhin für deinen Freund oder deine Freundin da sein, doch du merkst, eine Zuhörbereitschaft rund um die Uhr kannst du einfach nicht leisten.
Was also kannst du tun?
Hier ein paar Ideen von mir: Du darfst dem erkrankten Menschen sagen, dass du gerne helfen möchtest, aber an deine Grenzen kommst. Du kannst zum Beispiel auch sagen, dass du jetzt keine Zeit (oder keine Energie) für ein Gespräch hast, aber einen Termin vorschlagen, zu dem du dir extra Zeit nimmst. Du kannst zum Beispiel auch darum bitten, nicht nach einer bestimmten Uhrzeit abends anzurufen, weil du deine Nachtruhe brauchst.
Ich kann mir vorstellen, dass dir besonders der letzte Punkt schwerfällt. Was, wenn gerade nachts eine schlimme Krise auftritt und nun hast du gesagt, da seist du nicht zu erreichen. Die Sorge ist nicht unberechtigt, denn natürlich können depressive Krisen auch nachts auftreten. Da Menschen mit Depressionen sehr oft unter ganz bestimmten Schlafstörungen leiden, ist das sogar gar nicht unwahrscheinlich. Doch mal ehrlich: Wieviel Energie hast du wirklich?
Erweitere das Hilfenetz
Deshalb ist es ganz wichtig, dass du das Hilfenetz erweiterst. Am besten tust du das gemeinsam mit dem erkrankten Menschen. Überlegt also gemeinsam, wer außer dir für Gespräche, für ein offenes Ohr zur Verfügung stehen kann. Stellt eine Liste von möglichen Gesprächspartnern zusammen. Diese Liste sollte natürlich auch Anlaufstellen, wie Beratungsstellen, den sozialpsychiatrischen Dienst, die Telefonseelsorge und die für den Wohnort zuständige psychiatrische Institutsambulanz und für absolute Notfälle auch die Nummer für einen Rettungswagen enthalten. Besprich mit deinem Freund oder deiner Freundin, dass es auch für ihn bzw. sie hilfreich ist, wenn ein stabiles Netzwerk aus Familienmitgliedern, Freund*innen und offiziellen Stellen da ist, das schwierige Situationen auffangen kann.
All das ersetzt natürlich keine Psychotherapie - aber das ist sowieso ein Punkt für sich.
Wie du gut für dich selbst sorgen kannst und dennoch ein guter Freund/eine gute Freundin bleibst
Als Zugehörig*er wirst du viel aushalten müssen:
- Deine eigene Hilflosigkeit, wenn Hilfe nicht angenommen wird.
- Die Angst, wenn sich der andere nicht zum vereinbarten Zeitpunkt meldet.
- Das Gefühl, zwischen den Stühlen zu sitzen, weil man dir mehr anvertraut als der eigenen Familie.
Nein, das ist nicht immer leicht.
Doch eines ist sicher: Du kannst die Verantwortung für einen anderen Menschen nicht übernehmen. Und du bist nicht verantwortlich, wenn doch etwas passiert – so wenig ich dir das wünsche.
Beim Aushalten kann das Erlernen und regelmäßige Üben von Entspannungstechniken helfen. Manchen Menschen hilft auch Yoga oder Meditation, Spazierengehen oder Sport. Denn den Körper in Bewegung zu bringen, ist ein super Mittel zum Stressabbau.
Man kann es eigentlich gar nicht oft genug sagen:
Wer für andere Menschen da sein will, muss auch für sich selbst da sein.
Das klingt banal, so richtig ist es.
Räume dir also bewusst wieder Zeit ein, unternehme etwas und überlege, welche Inseln du deinem erkrankten Freund/erkrankten Freundin du wirklich zur Verfügung stellen kannst. So dass es für beide ein Gewinn ist und du deine Energie nicht komplett an einer Stelle aufbrauchst.
Ich fasse also noch einmal zusammen:
- Ratschläge kommen sowieso selten gut bei anderen Menschen an. Oft hilft eine eher fragende Haltung, da sie dem anderen mehr Gestaltungspielraum lässt.
- Wer an einer Depression leidet, ist überdies oft gar nicht in der Lage, Ratschläge umzusetzen.
- Haushalte mit deiner Energie: Du kannst nur eine gute Zuhörerin sein, wenn du genügend Kraft dafür hast und dir und dem anderen klar ist, dass du keine Therapie ersetzen kannst. Bei einem gebrochenen Bein würdest du dich auch nicht selbst an einem Gipsverband versuchen…
- Scheue dich nicht, deine Eindrücke zu schildern und beschreibe dabei am besten beobachtbares Verhalten. Hab auch keine Angst davor, deine Sorge um Suizidalität zu schildern. Höre dazu gerne auch nochmal die Folge 35 meines Podcasts, in der es genau darum geht.
- Mache das Hilfenetz größer: beziehe andere Freunde mit ein, stelle mit dem Betroffenen eine Liste mit hilfreichen Telefonnummern zusammen
- Achte ganz bewusst auf dich: Lerne Entspannungstechniken und übe sie regelmäßig, sorge für Bewegung und ausgewogene Ernährung, denn all das hilft gegen deinen eigenen Stress.