Ein Angehöriger ist psychisch erkrankt - wie Sie Ihr Vertrauen wieder gewinnen


In meiner Arbeit mit Angehörigen psychisch Erkrankter begegnen mir immer wieder Fragen, die sich 5 großen Themen zuordnen lassen. Diesen Themen widme ich eine ganze Blogartikel-Serie. In jeder Folge betrachten wir eines der großen Themen genauer. Ich lade Sie dazu ein, sich darauf einzulassen, auch einmal bei sich selbst zu schauen, wie Sie mit den jeweiligen Themen umgehen. Und ich möchte Ihnen Impulse mitgeben, die Ihnen helfen sollen, sich dazu zu positionieren - vielleicht sogar auf neue Weise.

Die 5 Themen sind: 

Worauf kann ich mich noch verlassen?

Wer mit einem psychisch erkrankten Menschen zusammenlebt, kennt das: Besonders ganz am Anfang, wenn die Erkrankung sich zum ersten Mal zeigt, ist plötzlich vieles auf den Kopf gestellt. Ein psychisch erkrankter Mensch verändert sich oft sehr stark - abhängig von der Art der Erkrankung. 

Eine Psychose, die durch Wahnvorstellungen gekennzeichnet ist, äußert sich anders als eine Depression. Und eine Bipolare Störung, bei der depressive Phasen sich mit Phasen starker - von außen betrachtet völlig übertrieben wirkender - Hochstimmung abwechseln ist nicht dasselbe wie eine Borderline-Störung, eine Suchterkrankung oder eine Essstörung.

Mal geht die Persönlichkeitsveränderung langsam vor sich - und wird vielleicht auch erst nach einiger Zeit bemerkt, mal verändert sich das Verhalten Betroffener schneller, irgendwie radikaler. Es ist ein Unterschied, ob ein Mensch plötzlich davon berichtet, Stimmen zu hören oder sich verfolgt zu fühlen oder ob sich jemand seit einiger Zeit immer stärker zurückzieht, vielleicht mit der Erklärung, sich einfach nur noch erschöpft und müde zu fühlen.

Viele Angehörige, die in meine Praxis kommen berichten davon, dass Sie diese Veränderungen überhaupt nicht verstehen. Dass der geliebte Mensch ganz anders geworden ist. Dass sich gemeinsame Pläne, die vor kurzem noch galten, scheinbar in Luft aufgelöst haben. 

  • Eine Beziehung, die so gut angefangen hatte, scheint plötzlich nicht mehr wichtig
  • Eine gemeinsame Zukunft mit Heirat und Familiengründung wird aufgekündigt
  • Gemeinsam einen schönen Ruhestand genießen, endlich reisen, Zeit mit den Enkeln verbringen, scheint nicht mehr möglich

Wenn nicht mehr gilt, was lange selbstverständlich schien - und man selbst die Veränderung nicht selbst herbeigeführt hat - geht Vertrauen verloren. 

Vielleicht haben Sie sich in Ihrer Situation als Angehörige/r auch schon gefragt: Worauf soll ich mich noch verlassen können, wenn plötzlich alles anders werden kann?

Was hat Vertrauensverlust mit mir selbst zu tun?

Wohl jeder kennt den Begriff des "Urvertrauens". Der Begriff stammt ursprünglich aus der Psychoanalyse. Psychoanalytische Forschungen gehen davon aus, dass wir Menschen unser Urvertrauen in unserer ganz frühen Entwicklung als Babies herausbilden. Nämlich in der Beziehung zu unseren Eltern.

Eltern, die ihren kleinen Kindern das Gefühl vermitteln, dass sie gut versorgt werden, mit Nahrung, mit Berührung mit Liebe und Zuwendung, legen damit einen wichtigen Grundstein für das Vertrauen des Kindes in das Leben. Das ist das Urvertrauen,  also das ganz generelle Vertrauen, in der Welt grundsätzlich geborgen zu sein und Schwierigkeiten überwinden zu können. 

Das ist ein Schatz, der einen durch das ganze Leben tragen kann. 

Wer - aus welchen Gründen auch immer - weniger Urvertrauen bilden konnte, tut sich häufig schwerer damit, in Krisensituationen zuversichtlich zu bleiben. Aber auch, wer ein gutes Selbstvertrauen und Urvertrauen hat, kann durch Lebenskrisen ganz schön aus der Bahn geworfen werden. Mit einer guten Ausstattung an Vertrauen gelingt es aber möglicherweise etwas besser, Krisen zu überwinden. 

Die individuelle Ausstattung mit Vertrauen ins Leben hat also auch etwas damit zu tun, wie gut wir schwierige Lebensphasen meistern können. 

Eines ist klar: Vertrauen ist immer an Unsicherheit geknüpft. Vertrauen bedeutet also auch immer, ein gutes Maß an Unsicherheit auszuhalten und Enttäuschungen nicht zu generalisieren. 

Eine Erkrankung bedeutet Kontrollverlust

Der Verlust von Vertrauen ist eng an Ängste geknüpft. Wenn ich erlebe, wie sich mein Leben gerade auf den Kopf stellt oder mir der Boden unter den Füßen entzogen wird, macht das Angst. Ich erlebe, wie ich plötzlich die Kontrolle über mein Leben verliere. Ich verliere das Gefühl, nicht mehr richtig selbst bestimmen zu können, wie ich mein Leben gestalte. 

Die Ausdrücke "das Leben wird auf den Kopf gestellt" oder "das zieht mir den Boden unter den Füßen weg" illustrieren diesen Kontrollverlust sehr gut, oder? In beiden Fällen strauchle ich, falle und verletze mich. 

Der Wunsch nach Kontrolle ist eines der menschlichen Grundbedürfnisse. Und eine Erkrankung kann das Gefühl davon, die Dinge unter Kontrolle zu haben, empfindlich stören. 

Das gilt für jede Form schwerer Erkrankungen. Und psychische Erkrankungen können sehr schwere, ja lebensbedrohliche Erkrankungen sein. 

Da Vertrauen immer auf zuvor gemachten guten Erfahrungen beruht, kann das Vertrauen in "es wird schon alles gut werden" durch schmerzhafte Erfahrungen zutiefst erschüttert werden. 

Meine 5 besten Impulse für Sie, damit Sie Ihr Vertrauen wiedergewinnen

Verlorenes Vertrauen wieder zu gewinnen ist nicht einfach - und geht am besten in kleinen Schritten. Hier meine Impulse für Sie: 

1. Gehen Sie Schritt für Schritt

Mit einem pauschalen "alles halb so schlimm" könnte es sein, dass Sie die Realität ausblenden und die nächste Enttäuschung ist vorprogrammiert. Was Sie stattdessen tun können:

 Schauen Sie genau hin und stellen Sie sich diese Fragen:

Was ist passiert?
Worin liegt die Veränderung?
Mit welcher psychischen Erkrankung haben Sie und Ihr liebster Mensch es zu tun?
Welche Dinge laufen noch gut?
Welche Unterstützung haben Sie, in der Familie oder im Freundeskreis?
Wer kann professionelle Hilfe leisten? Auch für Sie selbst!
Worauf können Sie sich bei sich selbst immer verlassen?

Die Beantwortung dieser Fragen allein kann schon dabei helfen, Stück für Stück an Vertrauen, vor allem Selbstvertrauen, wieder zurückzugewinnen.

2. Bleiben Sie in Kontakt

Auch wenn es gerade sehr herausfordernd ist, bleiben Sie möglichst in Kontakt mit Ihrem erkrankten Angehörigen. Auch wenn er oder sie sich sehr zurückzieht, möglicherweise sogar äußert, dass er nichts mehr für Sie empfindet (bei Depressionen zum Beispiel ist das eines der Symptome! Lesen Sie dazu auch meinen Blogartikel über Depressionen und wie man sie erkennen kann). Zeigen Sie Ihrem Angehörigen, dass Sie für ihn/sie da sind - freilich, ohne sich für den anderen aufzuopfern. Der Kontakt kann ein freundliches "Ich sehe, dass es dir nicht gut geht. Möchtest du, dass ich etwas für dich tue?" sein oder eine Einladung zu einer kleinen gemeinsamen Aktivität, wie ein Spaziergang oder eine Runde mit dem Rad. Der Kontakt tut auch Ihnen gut. Denn er gibt Ihnen die Zuversicht, dass nicht alles "verloren" ist. Es ist zurzeit schwierig, aber kleine Kontaktpunkte sind noch möglich. Das ist gut. 

3. Erinnern Sie sich an die guten Zeiten

Das klingt vielleicht echt seltsam - kann aber helfen, solange Sie dabei nicht in Wehmut verfallen. Rufen Sie sich ab und zu die "guten Zeiten" Ihrer Beziehung in Erinnerung. Werden Sie dabei nicht melancholisch, sondern versuchen Sie die Erinnerung als Kraftquelle zu sehen. Sie sind mit einer Erkrankung konfrontiert und haben möglicherweise noch eine lange Wegstrecke vor sich. Doch die allermeisten psychischen Erkrankungen sind heutzutage so gut behandelbar, dass sie zumindest unter Kontrolle gehalten werden können. Wenn Sie sich an die Zeiten vor der Erkrankung erinnern, kann Ihnen das dabei helfen, Ihrem erkrankten Angehörigen zuzutrauen, von einer Behandlung zu profitieren. Die meisten Menschen mit psychischen Erkrankungen haben ja auch gesunde Anteile. Die gilt es zu stärken - und dazu können Sie mit liebevollem Kontakt beitragen. Die Behandlung überlassen Sie aber getrost den Profis!

4. Besinnen Sie sich auf Ihre eigenen Stärken

In Zeiten, in denen wir das Gefühl haben, alles wächst uns über den Kopf, gleitet uns aus der Hand, kann es sehr hilfreich sein, sich auf die eigenen Stärken zu besinnen, um wieder ins Gleichgewicht zu kommen. Diese Fragen können dabei helfen: 

Wie ist es mir vor dieser Krise gelungen, Schwierigkeiten zu meistern?
Was kann ich besonders gut? (Egal, was es ist!)
Wie würden andere meine Stärken beschreiben?

Halten Sie kurz inne und nehmen Sie innerlich Kontakt mit Ihren Stärken auf. Das kann Ihnen helfen, wieder zur Ruhe zu kommen. 

5. Informieren Sie sich über das Krankheitsbild

Mutmaßungen, Ahnungen, Befürchtungen und Vorurteile sind denkbar schlechte Ratgeber, um ein Gefühl von Vertrauen wiederzuerlangen. Wer die Fakten kennt, kann viel besser damit umgehen. Deshalb ist es für Sie als Angehörige geradezu essenziell, sich über die Erkrankung Ihres geliebten Menschen zu informieren. Ich weiß aus vielen Gesprächen mit Angehörigen, dass sie endlos im Internet surfen, um Informationen zu bekommen. Dagegen ist auch grundsätzlich gar nichts zu sagen. Doch achten Sie darauf, dass Sie seriöse Quellen suchen. Dr. Google kann einen ganz schön in die Irre führen, wenn man wild drauflos recherchiert. Seriöse Informationsquellen im Internet sind zum Beispiel die medizinischen Fachgesellschaften, die Deutsche Depressionshilfe, die Depressionsliga, gute Veröffentlichungen in großen, seriösen Zeitungen und Rundfunkanstalten. Und natürlich gibt es Bücher über psychische Erkrankungen und auch Hausärztinnen und Hausärzte, Therapeutinnen und Therapeuten, Fachärztinnen und Fachärzte für Psychiatrie sind gute Gesprächspartner. Scheuen Sie sich nicht, Fachleute anzusprechen und Ihre Fragen zu stellen! 

Liebe LeserInnen,


Wenn Sie meine Hilfe wünschen, biete ich Ihnen gerne folgendes an:

Sie buchen eine Therapiestunde bei mir. Entweder in meiner Praxis oder wenn Sie nicht in der Nähe wohnen vereinbaren wir einen Online-Termin. Eine Therapiestunde kostet 105 Euro und dauert 60 Minuten.

In beiden Fällen nehmen Sie bitte mit mir Kontakt auf. Herzlichen Dank! Ich freue mich, wenn ich Ihnen helfen kann.

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About the author

Maria Fahnemann

Als Heilpraktikerin für Psychotherapie, Kunsttherapeutin und kreative Traumatherapeutin helfe ich Menschen in schwierigen Lebenssituationen. Meine Behandlungsschwerpunkte sind: Anpassungsstörungen Depressionen Angststörungen Stress und Burnout Meine besondere Liebe gilt der Arbeit mit Angehörigen psychisch erkrankter Menschen.

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